Isabél trug ein weißes Kleid. Ihren Hals schmückte das kostbare Rubinhalsband. Ihre Hände zitterten, doch sie hielt sie in den Falten ihres Gewandes versteckt. Gutierre de Cardenas begleitete Isabél auf den Stuhl, der wie ein Thron auf einer kleinen Empore stand. Der Saal war festlich geschmückt, doch nur wenige Menschen waren anwesend, unter ihnen Doņa Francisca, die Isabél aufmunternd zulächelte. Jetzt war es also soweit!
Erzbischof Carillo schritt feierlich zur Tür und öffnete sie. Davor stand Prinz Fernando mit seinem Gefolge. Carillo verbeugte sich und schritt dann feierlich an Fernandos Seite zu Isabél. Im Saal herrschte atemlose Stille.
Isabél blickte Fernando entgegen. Kronprinz von Aragón, König von Sizilien, ein hochgewachsener junger Mann im Gewand eines Ritters, dessen jugendliches Gesicht mit dem sinnlichen Mund und der hohen Stirn nicht so recht zu seinem kraftvollen Körperbau passen wollte. Schwarze Augen blickten sie an, als wollten sie ihre Gedanken ergründen. Seine Miene verriet Selbstbeherrschung. Isabél konnte nicht daraus ablesen, was er dachte oder fühlte. Drei Schritte vor Isabél blieb er stehen.
Er sah nicht aus wie ein Kriegsheld, eher wie ein Gelehrter. Erstaunlich, dass er sich so einem Abenteuer wie der Reise in Verkleidung eines Maultiertreibers gestellt hatte. Er war jung, er sah nicht unrecht aus, er schien gesund zu sein. Potent war er auf jeden Fall. Man erzählte von einigen Mätressen und zwei Kindern. Die hohe Stirn wies auf Klugheit hin, die volle Unterlippe auf Sinnlichkeit. Es hätte schlimmer kommen können.
Isabél erhob sich von ihrem Stuhl. Sie war bedeutend kleiner als Fernando. Da der Stuhl auf einem Podest stand, wirkte der Unterschied nicht so groß. Sie schauten sich in die Augen, und in das Schweigen zwischen ihnen mischte sich Peinlichkeit. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Wo sonst Isabél immer einen kühlen Kopf behielt, klaffte diesmal eine gähnende Leere. Nächtelang hatte sie nicht mehr richtig geschlafen, sich immer wieder diesen Augenblick ausgemalt. Aber nun war es ganz anders. Jetzt stand sie da, starrte in seine dunklen Augen, die ihrerseits das helle Blau von Isabéls Augen zu ergründen versuchten. Im Stillen fragte sie sich, was man aus diesem ersten Blick ableiten konnte. Freude, Enttäuschung, Gleichgültigkeit?
Königskinder heirateten stets aus politischem Kalkül. Selten war der männliche Partner jung, ansehnlich und gesund. Und wenn Fernando sich in Isabéls Forderungen des Ehevertrags fügte
Cardenas, der neben dem Podest der Infantin am nächsten stand, wartete voller Ungeduld auf eine Reaktion des Paares. Doch sie schauten sich nur in die Augen. In seinen Fingerspitzen zuckte es, in seinem Innern staute sich der Druck. Endlich, endlich waren sie mit ihren monatelangen Anstrengungen um diese Verbindung am Ziel angelangt! Endlich hatte sich der große Plan vollendet! Was für Geld, Kraft und Nerven hatte das alle Beteiligten bislang gekostet! Und die beiden standen da wie Statuen und starrten sich nur an!
Gutierre de Cardenas konnte nicht mehr an sich halten. "Esse es! Esse es!" , platzte er heraus und hüpfte vor Freude auf und ab.
Schallendes Gelächter der Umstehenden nahm dem Paar die entstandene Peinlichkeit, und beide lachten mit. Die Spannung löste sich mit einem Schlag. Isabél streckte ihre Hände vor, und Fernando ergriff sie.
"Herzlich willkommen in Kastilien!"