Er mußte mich erwartet haben, denn er drehte kaum den Kopf, um seine Erwartung bestätigt zu finden. Ich parierte Diablo durch und öffnete den Mund, um etwas zusagen, aber ich kam nicht dazu. Genauso gleichmütig, wie der Förster sich nach mir umschaute, drehte er sich wieder weg und trug den Stapel Holzscheite ins Haus. Wutentbrannt sprang ich vom Pferd herunter und folgte ihm durch die Tür.
Die geräumige Wohndiele, an die ich mich mit so gemischten Gefühlen erinnerte, erschien mir jetzt, im Schein der Abendsonne, völlig verändert. Im Kamin brannte wieder ein Feuer, aber kleiner als damals im Winter, und es war frühsommerlich kühl.
Ungerührt packte der Förster das Holz neben den Kamin. Ich sah nur seinen gebeugten Rücken.
"Ich muß mit Ihnen reden ...", keuchte ich aufgebracht.
"Nein!" Das klang hart, bestimmt, endgültig, wie der Knall eines Gewehres. Um dieses Wort auszusprechen, hob er nicht einmal den Kopf.
Es verschlug mir für einen Moment die Sprache. Ich trat drei, vier Schritte vor ins Zimmer, holte tief Luft und erwiderte fest: "Aber ich will mit Ihnen reden und zwar jetzt und hier!"
"Nein!"
Es klang schärfer, bedrohlicher, er richtete sich jetzt auf und drehte sich zu mir um. Der Ausdruck auf seinem Gesicht erschreckte mich, es erschien unheilvoll. Ich war völlig verwirrt. Meine Wut und Empörung schlugen in Angst und Unsicherheit um.
Ich war immer noch erhitzt und außer Atem von dem schnellen Ritt, meine alte Jeansbluse, die ich meist während des Reitunterrichts trug, war teilweise aus der Reithose herausgerutscht, die beiden oberen Knöpfe standen offen.
Ganz langsam, Schritt für Schritt, kam der Mann auf mich zu, im gleichen Tempo wich ich zur Tür zurück. "Ich will, daß ihr mich in Ruhe laßt", sagte er leise und drohend. "Ihr brecht in meine Welt ein, trampelt darauf herum mit euren Pferden, stört den Frieden des Waldes mit eurem Lachen, beunruhigt die Tiere und glaubt, euch gehört die Welt."
Ich wich bis an die Tür zurück, wollte etwas erwidern, aber ich war wie gelähmt. Dabei empörten mich seine Worte, erregten meinen Widerstand.
"Au!" Ich stieß schmerzhaft an die Kante der Tür, die daraufhin zuschlug. Unsaft fiel ich gegen das Türblatt. Nun war ich gefangen!
Der Förster kam immer noch Schritt für Schritt näher, nur daß ich ihm nun nicht mehr ausweichen konnte. Und wieder spürte ich diese seltsame Panik in mir, die eine gähnende Leere in meinem Gehirn verursachte und mein Herz zum Rasen brachte. Jetzt stand er ganz dicht vor mir. Ich war ihm in die Falle gegangen! Er hatte mich erwartet, jetzt war ich ihm ausgeliefert. Diesmal würde er mir keine Erste Hilfe leisten, diesmal hatte ich verloren.
Seine Locken hingen wirr in die Stirn, er trug einen Dreitagebart und seine Wangen waren irgendwie schmaler geworden. Er stützte seine Arme rechts und links von mir gegen die Tür. Ich befürchtete, daß meine Knie versagten, so weich wurden sie und ich zitterte. Ich hatte das Gefühl, als stände ich unter einer Hochspannungsleitung. Die Luft schien ionisiert und zu summen. Das Blut rauschte in meinen Ohren, die feinen Härchen auf meinen Armen richteten sich auf.
Er starrte mich an und seine Augen hypnotisierten mich, daß ich zu keiner Regung mehr fähig war. Seine dunkle Stimme war leise und eindringlich, mit einem eigenartigen Dialekt, und sie ging mir unter die Haut. "Verdammt, daß du eine Frau bist! Seit ich dich das erste Mal sah, hast du mir die Ruhe geraubt. Seitdem scheint mir die Luft zum Atmen zu fehlen. Du hast mein Herz herausgerissen. Wie ein Wolf laufe ich nachts durch den Wald und heule den Mond an. Jeder Gedanke an dich ist eine Pein, dein Anblick verursacht mir körperliche Schmerzen, ich bin seitdem kein Mensch mehr. Du bist in mein Leben eingedrungen, ohne zu fragen, ob ich es will. Und ich muß zusehen, wie du mich langsam aber sicher tötest. Du quälst mich, weil du immer wieder hierher kommst, du quälst mich, weil ich weiß, daß du nur einen Katzensprung von hier lebst, in deinem warmen Zimmer, in deinem warmen Bett, in deiner kleinen, heilen Welt, in der du nichts weißt von den schrecklichen Dingen, die du mir antust, nur weil es dich gibt!"
Ich starrte ihn verständnislos an. Da fiel sein Blick auf den Ausschnitt meiner Bluse und er stutzte. Ich trug das kleine Medaillon, das wir im Moor gefunden - oder gestohlen - hatten, an einer Silberkette um den Hals.
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen, Norman O'Connor, das war e r ! Mir wurde schwindlig. Er griff mit der rechten Hand nach dem Medaillon und berührte dabei, wie zufällig, meine Haut. Mich durchfuhr ein Gefühl, heftig wie ein Stromschlag.
So etwas hatte ich schon einmal erlebt, in der Schule während des Physikunterrichts. Unser Physiklehrer demonstrierte einen Versuch mit einem Bandgenerator. Während er an der Kurbel drehte, die das Gummiband an einer Bürste vorbeiführte, erzeugte er eine Spannung. Einer meiner Mitschüler sollte sich auf eine Gummimatte stellen und die Kugeln am Generator berühren. Es passierte nichts. Dann forderte mich der Lehrer auf, meinen Mitschüler zu berühren, ohne auf die Gummimatte zu treten. Als ich den Jungen berührte, spürte ich ein heftiges Zucken in meinem Körper. Eine unsichtbare Kraft jagte durch mich hindurch. Sie erschreckte mich umso mehr, da ich diese Kraft weder sehen, hören noch riechen konnte, dafür umso heftiger spürte. Seitdem hatte ich einen riesigen Respekt vor allen elektrischen Dingen.
Und jetzt bekam ich wieder diese gewaltige Kraft zu spüren, die durch meinen Körper jagte, schmerzte, alle Fasern zusammenzog. Doch hier gab es keinen Physikunterricht, keinen Bandgenerator und keine elektrische Spannungen. Dies waren andere Kräfte, die ich nicht erklären konnte, die aber vorhanden waren und sich nun entladen wollten.
Es schienen nur Bruchteile einer Sekunde gewesen sein, in denen ich mich aufbäumte, gegen diese gewaltige Entladung, die unmittelbar folgen mußte, aufbegehren wollte, unter diesen irrsinnigen Spannungen erbebte.
Als er den Blick wieder hob und meine Augen fand, geschah es. Ein unsichtbarer, schmerzhafter Blitz schlug mit gewaltiger Kraft in mich ein, raste durch meinen Körper, indem er aller Nerven in Hochspannungsleitungen verwandelte. In meinem Bauch schien etwas zu zerplatzen und wie kochendes Wasser ergoß es sich in meinen Schoß. Ich erschauerte unter der Gewalt dieses unbekannten, noch nie erlebten Gefühls.
Im gleichen Moment fielen wir wie Tiere übereinander her.