Romelia wurde in ihrer prachtvollen Sänfte von vier kräftigen Sklaven getragen, die alle rote Gewänder trugen. Zwei weitere Sklaven trugen die Körbe mit den Bade-utensilien. Drusilla und Pila liefen neben der Sänfte einher. Romelia hatte die Vor-hänge zurückgeschlagen, was sie häufig tat, wenn sie nicht mit ihrem Gatten unter-wegs war. Zwar schickte es sich nicht unbedingt für eine Frau ihres hohen Standes, doch Romelia liebte es, wenn die Passanten ihre wertvolle Aufmachung bewunder-ten. Sie trug kostbaren Schmuck, eine Stola aus zartem, reich besticktem Leinen und darüber ein Tuch aus orientalischer Baumwolle.
Erstaunlicherweise hatte sie auf eine umfangreiche Leibgarde verzichtet, zumal es nicht weit war von der Villa des Valerius bis zu den Thermen in der Nähe des Fo-rums.
Auf den Straßen herrschte ein dichtes Gedränge, doch die meisten Passanten traten freiwillig beiseite, als sie die reich verzierte Sänfte der Senatorengattin bemerkten. Auch war dies insofern dienlich, weil die meisten Damen höheren Standes ihre Sklaven voraus laufen ließen, um den Weg notfalls mit Peitschenhieben freizumachen.
In der Via Sacra, vor der Basilica Aemilia stockte der kleine Zug. Ein Menschen-auflauf versperrte die Straße und schien jemandem zuzujubeln. Unwillig blickte Ro-melia auf. Sie wußte nicht, daß irgend eine Prozession stattfinden sollte, aber bei den vielen verschiedenen Tempeln und Göttern, die zu Rom gehörten wie die Menschen aus den verschiedensten Kulturen, konnte das immer vorkommen.
"Geh voran, Pila, und mach den Weg frei", befahl Romelia, als die Sänftenträger stockten.
Pila überholte die Sänfte. "Platz für die Frau des Senators!" rief sie, als sie unver-mittelt das dunkelbraune, schweißbedeckte Fell eines Pferdes vor sich sah. Der Rei-ter hatte das edle Tier gezügelt und versperrte den Weg. Pila blickte auf und schaute in zwei tiefblaue Augen, die von einem Kranz dunkler Wimpern beschattet wurden. Der Reiter trug eine leichte Rüstung ähnlich die der Soldaten. Aber er war kein Sol-dat.
Seine Augen schienen sie zu durchbohren und gleichsam auf die Stelle zu ban-nen. Pila war keiner Bewegung fähig. Ihre Lippen öffneten sich leicht, als sie den Kopf erhob und dem Reiter ins Gesicht sah. Alles um sie herum schien hinter einen unsichtbaren Horizont zu versinken. Es gab nur noch sie und diese Augen.
Der Reiter hatte überrascht sein Pferd gezügelt und blickte auf die seltsame Er-scheinung herab. Unzweifelhaft war es eine Sklavin. Er hatte schon viele Mädchen in Rom gesehen, aus allen Ländern dieser großen Welt, die es auf irgendeinem schick-salhaften Weg hierher verschlagen hatte. Und doch war ihm noch nie so ein Wesen erschienen wie sie. Mit geübtem Blick erfasste er ihren hohen Wuchs, die helle Haut und das blonde Haar, das ihr bis über die Hüften fiel. Doch am faszinierendsten wa-ren diese blauen Augen, die wie Edelsteine funkelten und von der Farbe des Him-mels waren. Er fing sich jedoch schnell wieder und blickte ein wenig hochmütig auf sie herab.
"Wer spricht das?" fragte er.
"Das spricht Pila, die Leibsklavin von Romelia, der edlen Gattin des ehrenwerten Senators Valerius." Pila hatte diesen Satz fehlerfrei gelernt, den Drusilla ihr beige-bracht hatte. Nur ihr seltsamer Dialekt verriet, daß sie keine Römerin war.
"So, so, Pila", sagte er gedehnt. Der Reiter starrte sie immer noch an, ohne sein Pferd anzutreiben.
Drusilla eilte Pila zu Hilfe. "Macht den Weg frei für die Frau des Senators!" rief sie ungeduldig.
Romelia hatte sich aus ihrer Sänfte gebeugt und runzelte ärgerlich die Augen-brauen. Mindestens fünfzehn Pferde befanden sich vor ihr und verstopften die Straße hoffnungslos. Auf den Zuruf eines Mannes aus deren Mitte saßen die Reiter plötzlich ab und führten ihre Pferde beiseite, um der Sänfte den Weg freizumachen.
Die Träger hoben Romelias Sänfte wieder an und liefen los, Drusilla und Pila folg-ten. Doch der Mann mit den tiefblauen Augen hielt Pila am Handgelenk fest. So standen sie sich gegenüber, keine zwei Handbreit Luft zwischen ihren Körpern. Pila war fast ebenso groß wie dieser Mann. Er wirkte athletisch, muskulös und doch schlank. Jetzt schaute sie in sein Gesicht. Seine Haut hatte die Farbe heller Bronze. Als er lächelte, blitzten zwei Reihen weißer Zähne. Er hielt immer noch ihr Handge-lenk umfasst und hinderte sie daran, der Sänfte ihrer Herrin zu folgen.
"Pila", sagte er leise.
"Das ist der Name, den mir meine Herrin gegeben hat", antwortete Pila. Sie wollte den Blick senken, so wie es sich für eine Sklavin gehörte, aber sie konnte es nicht. Die Augen des Mannes schienen sie in Trance zu versetzen.
"Pila, komm schon!" rief Drusilla, die sich erschrocken nach Pila umgedreht hatte.
"Ich muß weiter, Herr", sagte Pila und entzog ihm ihre Hand.
Aufgeregt zerrte Drusilla sie fort, den Zorn ihrer Herrin befürchtend.
"Wer war das?" fragte Pila sie.
"Den kennst du nicht? Den kennt in Rom jeder. Das ist Claudius, ein berühmter Gladiator aus Capua."