Aus sicherer Entfernung oberhalb des Tales beobachtete Rupert das Schlachtgetümmel. Für eine geraume Weile konnte man Freund und Feind nicht unterscheiden. Aber was hieß schon Freund? Er hatte gehofft, für eine Weile auf dieser Burg ausruhen zu können, doch dies schien ihm nicht vergönnt zu sein. Er überlegte, ob er nicht sofort weiterziehen sollte, doch dann schaute er dem Kampf der beiden Ritterheere zu. Die Verteidiger waren in der Minderzahl, doch taktisch wesentlich geschickter als die Franken. Rupert mußte sich ein Lächeln verkneifen. Richards Herz wäre vor Freude gehüpft, wenn er diese Schlacht seiner Untertanen sehen würde.
Nach einiger Zeit war das deutsche Heer aufgerieben, die Ritter zogen sich zurück zur jenseitigen Hügelkette. Es war zwar anzunehmen, daß sie nicht ganz aufgeben würden, doch im Augenblick war der Kampf vorbei.
Rupert wollte seinen edlen Hengst abwenden, um weiterzureiten. Plötzlich sah er sich von mindestens zehn Rittern umringt. Sie bildeten offensichtlich eine stille Reserve, denn sie waren nicht an der Schlacht beteiligt gewesen. Sie sicherten Rücken und Flanke ihrer eigenen Armee. Rupert zollte dem Anführer der Ritter insgeheim Respekt für so viel Weitsicht.
"Halt, Fremder!" Die Ritter hatten ihre Schwerter gezogen, Rupert sah deren Spitzen auf sich gerichtet. Er tat das einzige, was in dieser Situation richtig war, er blieb vollkommen ruhig. "Seid Ihr ein fränkischer Spion?"
Jetzt lachte er auf. "Sehe ich etwa so aus?" Amüsiert ließ er sein Pferd im Kreis tänzeln.
"Er ist ein Sarazene!" rief ein anderer Ritter. "Ein arabischer Spion! Schaut Euch nur sein Pferd an!" In der Tat hatten die französischen Ritter schwere Pferde, die die Last ihrer gepanzerten Reiter tragen konnten, während sein arabischer Hengst schlank und elegant, auf dünnen Fesseln und feinnervig auf die Bedrohung reagierte.
"Gut beobachtet, Herr Ritter", spottete Rupert. "Das Pferd stammt aus Arabien und ist ein Geschenk des Sultans Saladin persönlich. Aber ich bin kein Araber, das müßtet Ihr eigentlich sehen."
"Ihr seid dunkelhäutig und glutäugig wie ein Sarazene", wunderte sich der Ritter.
"Na und? Ich habe lange im Orient gelebt. Ich trage keinen Bart wie die Sarazenen."
"Das stimmt auch wieder", warf ein anderer Ritter ein. "Trotzdem könnte er ein Spion der Sarazenen sein."
"Was gäbe es bei Euch zu spionieren, was die Sarazenen nicht schon wissen?" spottete Rupert weiter. "Nehmt Ihr Euch nicht ein bißchen zu wichtig?" Er hatte den Zorn der Ritter heraufbeschworen.
"Was machen wir mit ihm?" fragte einer von ihnen.
"Das soll unser Anführer entscheiden."
Erwartungsvoll hob Rupert die Augenbrauen. Er war neugierig auf den Anführer dieser kleinen, aber schlagkräftigen Ritterschar, die die verhaßten Franken in die Flucht geschlagen hatte. Es mußte der Herr dieser Burg sein.
Die Ritter drängten Ruperts Pferd vorwärts in Richtung des Zeltlagers. Dort sammelten sich die Kämpfer aus der Schlacht, Knappen versorgten die erschöpften Pferde. Auch einige Verwundete gab es, die sich ächzend zu zwei großen Zelten schleppten, wo sie von einem Feldscher behandelt wurden. Kopfschüttelnd hörte er die Schreie der Verwundeten. Was sie in der Schlacht nicht abbekommen hatten, fügte ihnen jetzt dieser gottverdammte Schlächter zu.
Inmitten des Tumultes, des Jubels und des Schmerzes saß der Anführer auf einem kräftigen Apfelschimmel und dirigierte selbstsicher das vermeintliche Chaos. Er hatte sein Visier geöffnet, hielt den Kopf aber abgewandt und erteilte knapp einige Befehle.
"Wir haben einen Spion aufgegriffen!" rief der Anführer der Ritter, die Rupert gestellt hatten. Er hielt immer noch die Spitze seines Schwertes auf Rupert gerichtet. Zwei andere Ritter zerrten Rupert vom Pferd herunter und stießen ihn vor sich her vor die Beine des Schimmels.
Nun drehte sich der Angesprochene zu Rupert um und musterte ihn unter der Klappe seines Visiers heraus. Die Sonne stand ihm im Rücken, so daß Rupert ihn nicht richtig erkennen konnte.
Der Ritter sprang vom Pferd und Rupert bemerkte, wie klein und zierlich, fast knabenhaft er wirkte. War ein Kind Anführer dieses Heeres? Er wurde der Antwort enthoben, als der Ritter seinen Helm abnahm. Eine wallende, rotbraune Mähne quoll darunter hervor und er blickte in ein ebenmäßiges Mädchengesicht mit braunen Augen und Sommersprossen auf der Nase. Ihre vollen, sanft geschwungenen Lippen formten sich zu einem spöttischen Lächeln.
"Ein Spion? Er sieht eher wie ein Vogelfänger aus."
Die umstehenden Ritter lachten dröhnend. Rupert schwieg und verzog keine Miene. Nur seine schwarzen Augen blickten abwartend auf dieses Mädchen herab. Sie schob das Schwert mit einem geübten Griff wieder in die Scheide. "Er macht mir keine Angst. Wer seid Ihr?" fragte sie wie beiläufig.
Rupert war nicht gewillt zu antworten. Er war nicht ihr Gefangener.
"Ich warte", sagte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Worauf? Daß ich diesen komischen Vogel wegfange?" Er deutete mit der Hand auf sie und hatte die Lacher auf seiner Seite.
"Was erlaubt Ihr Euch?" schnaubte sie wütend und ihre Hand fuhr fast automatisch zum Griff ihres Schwertes.
"Ist das alles, was Ihr könnt, Euch herumprügeln wie ein Lanzenknecht?" Ruperts Lippen verzogen sich sarkastisch. "Was haltet Ihr von Gastfreundschaft, von Höflichkeit, von weiblicher Demut?"
"Weibliche Demut?" Das Mädchen lachte auf und warf mit einem übermütigen Schwung ihren Helm einem der umstehenden Knappen zu. "Wieso muß eine Frau demütig sein? Ich verteidige mein Land gegen diese fränkischen Hunde, soll ich das mit Demut machen?" Sie spuckte verächtlich aus. "Das hattet Ihr wohl nicht erwartet, daß eine Frau zum Schwert greift, um die Eindringlinge zu vertreiben?"
"Der Schluß lag nahe", erwiderte Rupert kühl. "Solche mickrigen Ritter gibt es nicht, die in diese Rüstung gepaßt hätten."
Wieder lachten die Ritter und jetzt flog eine heftige Röte über ihr Gesicht. "Das sollt Ihr mir büßen!" schnaubte sie.
"Gut, aber entscheidet Euch, ob Ihr mich mit dem Schwert oder mit der Zunge verletzen wollt."
Sie standen sich ganz nahe und er sah, daß in ihren braunen Augen grüne Pünktchen wie Sterne funkelten. Sie hatte einen Silberblick, der ihrem hübschen Gesicht jedoch nicht zum Nachteil gereichte. Sie hielt seinem Blick stand, so als müsse sie ihn ergründen. Ihr Blick war zornig, abschätzend, doch dann wurde er fragend, neugierig.
Seine Mundwinkel zuckten verräterisch, als er sich zu ihr herabbeugte. Trotz ihres verwegenen Aussehens war sie ungemein verführerisch und schön. Und in ihrem Blick entdeckte er Kraft und Widerstand. Sie wollte kämpfen. Sollte sie ihren Kampf haben.