Wie eine Melodie klang das helle, metallische Hämmern. Bei jedem Schlag rückte er den Meißel eine Winzigkeit weiter und schlug so Rillen und Furchen in den Stein. Er führte die Werkzeuge sicher und genau, obwohl Carol keine vorgezeichnete Linie auf dem Stein erkennen konnte. Woher wußte er, wohin er schlagen mußte? Sie hätte ihn gern danach gefragt, aber sie unterließ es. Es würde sich schon noch eine Gelegenheit ergeben, das Gespräch wieder aufzunehmen. Wenn er merkte, daß sie sich von seiner unfreundlichen Art nicht abschrecken ließ, würde er sicher etwas zugänglicher werden. Außerdem war er ein Mann, und es war ihr bislang immer gelungen, die Aufmerksamkeit von Männern auf die eine oder andere Weise auf sich zu ziehen.
Sie schlenderte im Zimmer umher und interessierte sich nun für die Gemälde. Sie standen allesamt mit der Vorderseite gegen die Wände gelehnt, soweit sie nicht mit Tüchern abgedeckt waren. Ein Tuch hing über einer Staffelei. Sie hob eine Ecke des Tuchs an, um darunter zu spähen.
Es polterte, als Patrick das Werkzeug fallen ließ. Mit drei großen Schritten war er bei ihr und packte ihr Handgelenk.
"Nein!" schnaubte er zornig.
"Herrje, was habe ich denn nun wieder falsch gemacht?" fragte sie, nachdem sie den Schreck schnell überwunden hatte. "Warum darf ich Ihre Bilder nicht sehen?"
Sein Griff war schmerzhaft und Carol verzog das Gesicht. Augenblicklich ließ er sie los, blieb aber stehen, um zu verhindern, daß sie wieder das Tuch anhob.
"Das geht niemanden etwas an."
Wahrscheinlich war er einer dieser introvertierten Künstler, die nur für sich selbst malten. Ja, es sollte Maler gegeben haben, die nie ein Bild verkauften, weil sie sich in ihre eigenen Meisterwerke verliebt hatten!
Carol hob die Augenbrauen. Wäre das nicht Stoff für einen neuen Roman? Ein verrückter Künstler, der seinen Bildern und Skulpturen in mondlosen Nächten Leben einhauchte? Der Gedanke daran faszinierte und erheiterte sie gleichermaßen. Ihr Lächeln erstarb, als sie zu Patrick aufblickte. Das Leuchten seiner Augen durchschnitt ihr Fleisch wie Laserstrahlen. Er stand nahe vor ihr und sie spürte etwas wie kleine elektrische Funken auf ihrer Haut tanzen. Seine Iris hatte sich verdunkelt, sie leuchtete jetzt fast schwarz. Ihr fehlte jedoch das hungrige Glitzern, das den Männern sonst in den Augen stand, wenn sie sie betrachteten. Er schien in sie hineinzublicken, ihre Seele zu suchen. Sie erschrak darüber und wich unwillkürlich zurück.
Etwas in seinem Blick war anders, als sie erwartete. Sie mußte in ihm etwas ausgelöst haben, was sie nicht beabsichtigt hatte. In diesem Blick gefangen, konnte Carol nicht anders reagieren. Sie war überzeugt, daß er seinen spröden Charme ganz bewußt einsetzte. Er war sich seiner männlichen Anziehungskraft sicher. Er wollte sie ködern, er wollte sie bannen und sie verunsichern. Beinahe wäre es ihm gelungen.
"Du bist schön", flüsterte er. Mit einer überaus langsamen Bewegung hob er seine Hand zu ihrem Gesicht, strich ganz sacht mit den Fingerspitzen drüber, als müsse er ihre Konturen erkunden. Sein Blick folgte seinen Fingern, er verinnerlichte ihr Profil, die Zartheit ihrer Haut, die Farbe ihres Haars.
Nach einem winzigen Moment der Verlegenheit schaute sie ihn fest an. Der Verlegenheit folgte Verärgerung. Hatte er ihr wirklich nicht mehr zu sagen als so ein klischeehaftes Kompliment? Gab es keine anderen Worte, die ausdrückten, wie sie auf ihn wirkte? Er mußte diese seltsame Aura doch ebenfalls spüren, wenn sie dicht beieinander standen, dieses Prickeln, dieses wellenförmige Beben, diese Atemlosigkeit. Dass sie schön war, konnte sie bei jedem Blick in den Spiegel feststellen. Das mußte er ihr nicht sagen!
"Das weiß ich", erwiderte sie gepresst. Im gleichen Moment hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
Augenblicklich ließ er den Arm fallen, starrte sie an mit einer Mischung aus Enttäuschung und Resignation an. Dann drehte er sich um, nahm seine Werkzeuge wieder auf und begann zu hämmern. Er würdigte Carol keines Blicks mehr.